Wer entdeckt hier wen? Zur Imagination subalterner Perspektiven in Schulbuchcomics aus Brasilien und Südafrika von Friedl, Sophie (2018)
Um die ersten Kontakte zwischen europäischen Erkundungsreisenden und amerikanischen, afrikanischen oder asiatischen Indigenen zu illustrieren, wählen SchulbuchproduzentInnen häufig ikonische Abbildungen von europäischen Segelschiffen oder berühmten Seeleuten. Die Titelseiten zweier Geschichtsbücher aus Indonesien und Brasilien, Sejarah und Ensino criativo, sind Beispiele für diese Darstellungstradition. 1 Auf dem Cover des brasilianischen Schulbuchs aus dem Jahr 1976 etwa prangt der Portugiese Pedro Álvarez Cabral, der als vermeintlicher Entdecker Brasiliens verehrt wird. Cabral erscheint hier in ehrwürdiger Pose an Bord eines Schiffes, ausgestattet mit dem Fernrohr als Attribut des seefahrenden Entdeckers. Der Ursprung der Abbildung ist umstritten; sicher ist aber, dass sie weit verbreitet war. Sie diente etwa auch der Repräsentation Cabrals in der vierbändigen Enzyklopädie der Grandes Personagens da Nossa História (Große Persönlichkeiten unserer Geschichte), die 1969 in Brasilien erschien. 2 Mit der Gestaltung seines Titelblattes folgt das Geschichtsbuch Ensino criativo also einer eurozentrischen Konvention, welche die Geschichte Brasiliens mit den portugiesischen Erkundungsreisen beginnen lässt und aus Sicht der Kolonisierenden erzählt. Der Fokus auf einzelne, Geschichte schreibende Männer ist ebenso Teil dieses Narrativs wie die Darstellung der europäischen Erkundung und Inbesitznahme anderer Weltregionen als 'Entdeckung'.3 Wie vielfach argumentiert wurde, vernachlässigt die Interpretation dieser Erkundungsreisen als Entdeckungen neuer Teile der Welt das Faktum, dass viele dieser Gebiete bereits besiedelt waren. Von Entdeckung zu sprechen, bedeutet daher, die Ereignisse aus rein europäischer Perspektive zu betrachten. 4Aus Sicht der indigenen Völker im heutigen Brasilien entdeckten die iberischen Expeditionen zweifellos nichts Neues, sondern die angekommenen EuropäerInnen selbst stellten das Neuartige und Unbekannte dar.
Nicht nur das Cover des Ensino criativo, auch die einleitenden, als Comic gestalteten Seiten des Schulbuches folgen einer Erzählweise, die die Geschehnisse in Europa einsetzen lässt und dann dem Blick der ‚Entdecker‘ auf deren Weg nach Brasilien folgt. Soweit nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswerter Weise unternehmen Autorin und Illustrator, Alcione Abramo und Kazuhiko Yoshikawa, allerdings einen Versuch, sich auf humoristische Weise von diesem eurozentrischen Narrativ zu lösen. 5
In der vorliegenden Quelle auf S. 13 stellen Comiczeichnungen dar, wie kolonisierende Portugiesen und indigene Tupiniquins aufeinandertreffen. Die Szenen beziehen sich auf die Ankunft der Flotte Cabrals im Jahre 1500. Zunächst sieht man in einem Panel, d.h. einem Einzelbild der Comicsequenz, einen niedergeschlagenen Seefahrer auf Erkundungsfahrt, der die Hoffnung nicht aufgibt, neues Land zu entdecken und tatsächlich auf solches stößt. Im Panel unten links fragt ein Portugiese den Angehörigen eines indigenen Stammes, ob es in diesem Land Gold oder Edelsteine gebe und ob sich eine Eroberung lohne. Der mit Federschmuck und Speer ausgestattete Indigene reagiert verdutzt – und auch auf den oder die BetrachterIn muss die so unvermittelt und offen gestellte Frage des Europäers deplatziert, ja fast komisch wirken. In ihr schwingt Kritik an der Gier der späteren Eroberer mit. Im dritten Panel, rechts daneben, beobachten zwei Indigene heimlich einen Gottesdienst der Portugiesen. Einer der beiden äußert sein Unverständnis darüber, wie die Neuankömmlinge einen Festtag begingen: „Warum trinken, singen und verhalten sie sich nicht wie wir, an einem Festtag?!?!“ Die Interpunktion bezeichnet in der für Comics typischen, drastischen Art die Überraschung und das Unverständnis der beiden Indigenen. Sie und ihre Wahrnehmung der Situation stehen in diesem Panel im Vordergrund; als BetrachterIn nimmt man ihre Perspektive auf die europäischen Erkundungsreisenden ein. Zwar werden die Indigenen entsprechend der in brasilianischen Schulbüchern bis heute wirksamen Bildtradition des „ursprünglichen Indianers“ 6mit Federschmuck und in Lendenschurz, also stereotyp und exotisch dargestellt. Aber in erster Linie sind es die Portugiesen, die sich seltsam verhalten. Damit wirft der Comic die Frage auf, wer eigentlich wen entdeckte und welche Lebensweise als normal gelten kann.
Für einen kurzen Moment verlässt die Darstellung hier die eurozentrische Perspektive und wechselt auf die Seite der amerikanischen Indigenen. Dieses Manöver zeugt von dem Bewusstsein, dass die vermeintliche Entdeckung Amerikas von mehr als einer Perspektive aus erlebt wurde. Die Darstellung reiht sich mit ihrem – nur ansatzweise vollzogenen – Perspektivenwechsel in einen geschichtskulturellen Trend der 1960er- und 1970er-Jahre in Brasilien ein, als einige HistorikerInnen in Reaktion auf den dominierenden Eurozentrismus propagierten, eine genuin indigene Sichtweise einzunehmen. 7
Die ersten Kontakte zwischen Europäern und Amerikanern aus Sicht damaliger Beteiligter nachzuvollziehen, ist freilich ein gänzlich unmögliches Unterfangen – ganz grundsätzlich, aber insbesondere im Fall indigener Völker, die kaum Quellenmaterial hinterließen, das eine auch nur ansatzweise Rekonstruktion ihrer Perspektive anleiten könnte. Mehr oder weniger verlässlich dokumentierten europäischen Sichtweisen steht oft eine spärliche oder gar keine indigene Quellenüberlieferung gegenüber. Die Tupiniquins in Brasilien oder die Khoikoi aus Südafrika hielten ihre Erfahrungen mit den ankommenden Seeleuten nicht in uns bekannten Texten oder Zeichnungen fest, auf die ein Schulbuch zurückgreifen könnte, das sich um eine multiperspektivische Darstellung 8 bemüht.
In diese Lücke kann der Comic vorstoßen; er imaginiert Perspektiven und stellt sie gegenüber. „Gerade Geschichte aus der Sicht der ‚Namenlosen‘, verbunden mit der Möglichkeit des Perspektivenwechsels, lassen den Comic didaktisch wertvoll erscheinen“, so der Geschichtsdidaktiker Stefan Semel. 9Das Medium des Comics eignet sich für den punktuellen Perspektivenwechsel, insofern es sich als offen fiktionales Medium die Freiheit herausnimmt, fehlende Quellen durch eine imaginierte Darstellung zu ersetzen. Das kann sich das klassische Medium der Geschichtslehre, der rekonstruierende Text, nicht (unkritisiert) leisten. 10Der Comic, der hier das Kriterium der historischen Authentizität gar nicht erst für sich beansprucht, 11erfindet mehr oder weniger plausible Wortwechsel und Gedankengänge und legt sie vergangenen Akteuren in den Mund beziehungsweise in die Sprechblase. Dass die Zeichnungen – wie im Ensino criativo - so offensichtlich humoristischer Natur sind und sich schon graphisch nicht an historischen Gegebenheiten orientieren wollen, erhöht die Immunität des Comics gegen Zweifel an seiner Korrektheit und vergrößert seinen Spielraum zur Ergänzung verankerter historischer Wissenskanons durch nicht dokumentierte vergangene Wahrnehmungen.
Die Möglichkeiten des Comics zur freien Imagination subalterner Perspektiven werden im Ensino criativo nur angedeutet. Für die Entstehungszeit – unter der brasilianischen Militärdiktatur und strenger Zensur – ist die Eurozentrismus- und Kolonialismuskritik in diesem Schulbuch ohnehin überraschend unverhüllt. Die Nähe der Autorin zur brasilianischen Opposition gegen das Regime ist aus der Darstellung unschwer herauszulesen. 12
Das südafrikanische Geschichtsbuch Looking into the Past führt vor, wie SchulbuchautorInnen sich der Comiczeichnung gezielt und systematisch bedienen, um einer eurozentrischen Erzählung der 'Entdeckung' zu entkommen. 13Die Darstellung unterscheidet sich schon dadurch von gängigen eurozentrischen Schulbucherzählungen, dass sie in eine ausführliche Behandlung des Lebens vor der Kolonisierung im späteren Südafrika eingebettet ist: Die Geschichte des eigenen Landes beginnt hier nicht erst mit der Ankunft der EuropäerInnen.
Die ausgewählte Quelle stellt unter der Überschrift „Europeans come to the Cape“ das erste Aufeinandertreffen der indigenen Khoikoi mit den Erkundungsreisenden um den Portugiesen Bartolomeu Dias in einem Comic dar. 14Die Comics beider Bücher, des südafrikanischen Looking into the Past und des brasilianischen Ensino criativo, beziehen sich also auf miteinander verknüpfte Ereignisse in den Jahren 1488 bzw. 1500, nämlich Landgang und Inbesitznahme von afrikanischem beziehungsweise amerikanischem Gebiet durch portugiesische Entdeckungsreisende. 15
Die Ankunft Dias' und seiner Mannschaft an der südafrikanischen Küste betrachtet man in Looking into the Past einmal aus afrikanischer, einmal aus europäischer Perspektive. Dabei nutzen die Schulbuchautorinnen die Funktionalität des Panelprinzips, also der Anordnung mehrerer Einzelbilder zu einer Sequenz, als „Kontrollinstrument, durch dessen Anordnung der Blick des Lesers gelenkt“ wird. 16Eine fiktive Quelle präsentiert Auszüge aus Bartolomeu Diaz' Tagebuch, die sich auf die dargestellte Begebenheit beziehen. Es geht um ein Looking into the Past, ein In-die-Vergangenheit-Schauen aus wechselnden Perspektiven. Im Gegensatz zum Ensino criativo überwiegt dabei die indigene Perspektive. Eine Aufgabe fordert die SchülerInnen explizit dazu auf, sich in die Lage der Khoikoi zu versetzen. Und anders als im Ensino criativo sprechen die Europäer eine rätselhafte, unverständliche Sprache: „!* #…@! x-x …? * !! … @*?-!-?”, fragt einer der Ankommenden einen Khoikoi. Dessen Unverständnis teilt man als LeserIn vollständig.
Die Indigenen kommentierten die Ankunft der Europäer mit Worten, die sonst den vermeintlichen Entdeckern zugesprochen werden. Wenn einer der Khoikoi ausruft „I never saw anything like that before!” und ein anderer kommentiert „These are strange men with clothes that cover all of their bodies!”, wird verdeutlicht, dass die Entdeckung und die mit ihr einhergehende Fremdheitserfahrung eine gegenseitige war und dass die Bewertung eines Lebensstils an den Standpunkt des Wertenden gebunden ist. So reflektiert sich die Bemerkung eines Khoikoi „They speak no language one can understand” in Bartolomeu Dias' (ebenso fiktiver) Tagebuchnotiz „The herders had no language that we could understand.” Während der Ensino criativo die kulturellen Unterschiede, wie sie sich in den Bekleidungsnormen äußerten, zur stereotypen, witzig gemeinten, aber exotisierend wirkenden Charakterisierung der amerikanischen Indigenen nutzt, greift Looking into the Past sie auf, um den SchülerInnen zu einer grundlegenden erkenntnistheoretischen Einsicht zu verhelfen: der Erkenntnis über die Perspektivität aller menschlicher Wahrnehmung und Erinnerung. 17Die Autorinnen verbinden das auf den Folgeseiten mit lebensweltlich orientierten Übungen zur Quellenkritik. Ihre postkolonialistische und dekonstruktivistische Prägung kommt deutlich zum Tragen. 18Wie Clacherty und Ludlow in Looking into the Past, wie Abramo und Yoshikawa im Ensino criativo den Comic nutzten, um ungewohnte Perspektiven auf die vermeintliche ‚Entdeckung‘ des späteren Südafrikas bzw. Brasiliens anzuleiten, ist höchst aufschlussreich für die Erforschung des historiographischen, didaktischen und gesamtgesellschaftlichen Wandels in ihren jeweiligen Ländern. Hier eine mehr angedeutete, punktuelle Aufwertung einer indigenen Perspektive unter den Bedingungen von Diktatur und Zensur im brasilianischen Geschichtsbuch aus den 1970er Jahren; dort eine kühn und systematisch vollzogene Perspektivenkonfrontation mit Anleitung zur Einfühlung in eine indigene Perspektive, die aus der Phase des Übergangs Südafrikas von der Apartheit zu einer (gleichwohl defizitären) Demokratie stammt.
Literaturverzeichnis
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- Semel, Stefan: Comics im problemorientierten Geschichtsunterricht. Die spinnen, die Comicer, in: Uffelmann, Uwe: Neue Beiträge zum problemorientierten Geschichtsunterricht, Idstein: Schulz-Kirchner, 1999, 205-220.
[1] Abramo, Alcione: Ensino criativo de história do Brasil. Colônia. Ensino de primeiro grau, São Paulo: Editora do Brasil, 1976; Suhartono: Sejarah 2. Perkembangan kerajaan Islam dan perjuangan melawan kolonialisme, Yogyakarta: Widya Utama, 1993.↩
[2] Vgl. Wikimedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Miniature_of_Pedro_Alvares_Cabral.jpg; (15.09.2016); Philippsen Kappke, Beatriz: Viagens, www.beatrizkappke.com/viagemporto1.htm (05.09.2016).↩
[3] Vgl. Melo, Fábio: Crítica ao Eurocentrismo, geaciprianobarata.blogspot.de/2014/03/critica-ao-eurocentrismo_18.html (05.09.2016). Im folgenden Text ist immer dann die Rede von “Portugiesen”, “Europäern” usw. in der maskulinen Form, wenn die analysierten Schulbuchdarstellungen tatsächlich nur von Männern sprechen oder nur Männer zeigen.↩
[4] Vgl. Corrêa Leite, José; Nogueira Galvão, Walnice: A invenção do Brasil [Interview mit Fernando Novais], in: Teoria e Debate 44 (2000), www.teoriaedebate.org.br/materias/nacional/invencao-do-brasil (05.09.2016); Mittag, Detlef: Ethnozentrismus in Unterrichtsmaterialien, FernUniversität in Hagen, 2007, 16, ivv7srv15.uni-muenster.de/tempus/03-Ethnozentrismus_in_Unterrichtsmaterialien.pdf (15.09.2016); Nakip, Tahir: Eurocentrism in World History Textbooks. The Case of Canada, in: İslâm Araştırmaları Dergisi 32 (2014), 127-154, hier 134, 140, www.academia.edu/11871072/Eurocentrism_in_WH_Textbooks_The_Case_of_Canada (15.09.2016).↩
[5] Zu welchem Anteil Autorin und Illustrator die Verantwortung für die Gestaltung des Comics trugen, ist nicht zu klären. Die Autorin, Alcione Abramo, arbeitete als Geschichtslehrerin am Instituto de Educação Estadual (Institut für staatliche Bildung), einer öffentlichen Schule in São Paulo. Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre verfasste sie mehrere Geschichtsschulbücher zur allgemeinen und zur brasilianischen Geschichte. Die Illustrationen in dem Schulbuch stammen von Kazuhiko Yoshikawa, einem Brasilianer japanischer Abstammung, der Schüler und langjähriger sowie enger Mitarbeiter des in Brasilien berühmten italienisch-brasilianischen Comiczeichners Nico Rosso war. Er spezialisierte sich auf die Illustration von Schulbüchern. Vgl. Guia dos Quadrinhos, www.guiadosquadrinhos.com/artista/kazuhiko-yoshikawa/9361 (04.09.2016); Rodrigues, Toni: Entrevista. Jô Fevereiro. O primeiro assistente de Nico Rosso, in: MeMo. A Revista da memória gráfica 1(2012), 100-104, hier 101, www.memomagazine.com.br/revistas/MeMo1.pdf (04.09.2016); Rodrigues, Toni: Luiz Rosso. Seguindo a veia artística da família [Interview], in: MeMo. A Revista da memória gráfica 1(2012), 124-129, hier 128, www.memomagazine.com.br/revistas/MeMo1.pdf (04.09.2016); CRE Mario Covas: Lembranças do meu mestre. Depoimento de Paulo Markun, www.crmariocovas.sp.gov.br/professor/lembrancas/paulo.swf (11.07.2016); Laboratório de Ensino e Material Didático da Universidade de São Paulo, lemad.fflch.usp.br/acervo (11.07.2016).↩
[6] Vgl. Diogo Francisco Cruz Monteiro diagnostizierte in zahlreichen Abbildungen der Geschichtsbücher, die 2011 in Brasilien ins staatliche Schulbuchprogramm aufgenommen wurden, einen wiederkehrenden, so idealisierenden wie eurozentrischen “Fetisch des ursprünglichen Indianers”. Cruz Monteiro, Diogo Francisco: Indígenas e Iconografia didática. A Imagem dos ìndios nos Manuas de História do programa Nacional do Livro Didático, Jundiaí: Paco Editorial, 2014, 156.↩
[7] Vgl. Corrêa Leite; Nogueira Galvão, 2000.↩
[8] Das geschichtsdidaktische Prinzip der Multiperspektivität bedeutet, dass Lernende sich mit „ein[em] historische[n] Sachverhalt aus mehreren, mindestens zwei unterschiedlichen Perspektiven beteiligter und betroffener Personen” auseinandersetzen. Die SchülerInnen bearbeiten Quellen, deren Verfasser unterschiedlichen sozialen Gruppen, Nationen, Religionen, Geschlechtern o.ä. angehörten oder die sich in unterschiedlichen Situationen befanden. Die Quellen spiegeln dabei, wie der Geschichtsdidaktiker Klaus Bergmann betont, nicht einfach konträre Meinungen wider, sondern lebensweltlich determinierte Perspektiven. Vgl. Bergmann, Klaus: Multiperspektivität, in: Ders. et al.: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Band 1, Düsseldorf: Schwann, 1979, 216-218.↩
[9] Vgl. Semel, Stefan: Comics im problemorientierten Geschichtsunterricht. Die spinnen, die Comicer, in: Uffelmann, Uwe (Hg.): Neue Beiträge zum problemorientierten Geschichtsunterricht, Idstein: Schulz-Kirchner, 1999, 205-220, hier 215; ähnlich Mounajed, René: Comics und historisch-politische Bildung, 29.05.2012, www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/136753/comics-und-historisch-politische-bildung (15.09.2016).↩
[10] Vgl. Semel, 1999, 207, 211. Vielleicht nicht zufälligerweise sind beide hier besprochenen Schulbüchern für die Primarstufe bestimmt. Die Freiheit des Comics zur Imagination historischer Perspektiven scheint im Sekundarbereich beschränkter zu sein.↩
[11] Vgl. Mounajed, 2012.↩
[12] Alcione Abramo stammte aus einer bekannten linksgerichteten, mit der Arbeiter- und Redemokratiesierungsbewegung verbundenen Familie. Sie engagierte sich in zahlreichen Menschenrechtsorganisationen und bei der Gründung des Partido dos Trabalhadores, der brasilianischen Arbeiterpartei. Vgl. Abramo, Alcione: ohne Titel, 18.04.2006, novo.fpabramo.org.br/content/alcione-abramo (20.07.2016); Fundação Perseu Abramo: Sobre Perseu Abramo, 11.02.2010, novo.fpabramo.org.br/node/5342 (11.07.2016).↩
[13] Clacherty, Glynis; Ludlow, Helen: Looking into the Past, Cape Town: Maskew Miller Longman, 1995, hier 62-63.↩
[14] Die Überschrift und die ihr folgende Darstellung suggeriert in gewisser Weise, dass Dias' Expedition die erste gewesen sei, die nach Südafrika gelangt sei. Wie Tahir Nakip darlegt, ist es eurozentrisch, Dias als den Entdecker oder ersten Umsegler des südafrikanischen Kaps zu bezeichnen und nicht zu erwähnen, dass schon andere, weit entfernt lebende Völker wie Araber, Javanesen, Inder und Äthiopier die afrikanische Südspitze umsegelt hatten, ehe das Dias gelang. Clacherty und Ludlow nennen Dias' Erkundung jedenfalls nicht eine 'Entdeckung' und schreiben nicht, dass es das erste Mal gewesen sei, dass Nicht-Indigene ins spätere Südafrika gelangt seien. Vgl. Nakip, 2014, 134, 139.↩
[15] Übrigens war Bartolomeu Dias an beiden dargestellten Ereignissen führend beteiligt: 1488 erklärte er das südafrikanische Kap für entdeckt und 1500 gelangte er als Kapitän in Cabrals Flotte an die brasilianische Küste. Vgl. Livermore, Harold V.: Bartolomeu Dias. Portuguese Explorer, 08.09.2015, https://www.britannica.com/biography/Bartolomeu-Dias (15.09.2016).↩
[16] Semel, 1999, 208.↩
[17] Damit legen sie ein Beispiel dafür vor, wie Comics zur Förderung von Dekonstruktionskompetenz genutzt werden können. Das regt etwa der Geschichtsdidaktiker Johannes Meyer-Hamme an. Döll, Frauke: Comics im Geschichtsunterricht [Interview mit Johannes Meyer-Hamme], 09.09.2015, https://idw-online.de/de/news637206 (15.09.2016).↩
[18] Freilich wird die geschilderte Erfahrung aus lediglich zwei gegenübergestellten und nicht aus multiplen Perspektiven dargestellt, obgleich Dias‘ Ankunft am Kap nicht nur von zwei unterschiedlichen Gruppen, sondern mehreren Individuen erlebt wurde. Dies darzustellen wäre sicherlich äußerst schwierig; der Grad an Fiktionalität wäre noch um einiges höher.↩
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