Afrika im Krieg
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3 Afrika im Krieg
1. Der Aufruf an Afrika
Seit Anfang des XX. Jahrhunderts befassten sich die Kolonialmächte für den Konfliktfall in Europa mit der Stellung von Kolonialtruppen, die aus afrikanischen Soldaten bestehen. Die Debatte war lebhaft. Einige Politiker und einige Militärs beteuerten, dass diese Truppen im Kriegsfall sehr nützlich sein würden. Andere sahen das Risiko, dass die schwarzen Soldaten undiszipliniert oder sogar rebellisch gegenüber der Autorität der Weißen sein könnten.
Frankreich, Großbritannien und in einem geringeren Maße Deutschland, Belgien und Portugal zogen in ihren Kolonien einige tausend Männer als Soldaten oder als Träger ein. Die Europäer griffen häufig auf Zwang zurück: die Rekrutierung nahm in bestimmten Regionen wie der Elfenbeinküste den Charakter einer wahren Menschenjagd an.
Die Truppen, die so rekrutiert wurden, wurden einem intensiven Training unterzogen, im Rahmen dessen sie militärische Disziplin, die Handhabung von Waffen und europäische Kampftechniken lernten. Viele Soldaten nahmen an den Kämpfen auf afrikanischem Boden teil, doch mehr als 180.000 unter ihnen wurden nach Europa geschickt. Ihr Mut und ihre Loyalität wurden von ihren Offizieren überall bewundert.
Die Kolonien wurden ebenso im wirtschaftlichen Bereich herangezogen. Die Europäer beschlagnahmten Lebensmittel, um die Soldaten zu ernähren. Sie forderten Rohstoffe ein, die für die Kriegsbestrebungen notwendig waren, besonders Nahrungsmittel. Ende 1916 verhinderte die Seeblockade den Export von afrikanischen Produkten, die keinen Absatzmarkt mehr fanden, nach Europa: Der Krieg stellte somit eine Krisenzeit für die afrikanische Wirtschaft dar.
2. Afrika, Land des Krieges
Die deutschen Kolonien in Afrika befanden sich zwischen französischen, britischen, belgischen und portugiesischen Gebieten in der Klemme. In Togo dauerte der Krieg nicht einmal einige Wochen: die Kolonie war klein und schlecht verteidigt. Am 25. August 1914 ergab sich Togo, nachdem die Radiostation in Kamina zerstört worden war.
Obwohl Deutschland von vielen Afrikaanern (Buren) unterstützt wurde, stand Südafrika hinter Großbritannien. Dessen Marine griff die südwestafrikanische an der Küste an, während die Truppen aus dem Süden vorrückten. Die Deutschen kapitulierten im Juli 1915. In Südafrika wie auch in der deutschen Kolonie lehnten die Weißen es ab, schwarze Soldaten einzustellen, da sie Verrat befürchteten.
1914 griffen die Franzosen, die Briten und die Belgier Kamerun an, das Schritt um Schritt Widerstand leistete. Aber im Februar 1916 flohen die deutschen Truppen nach Rio Muni, eine spanische Kolonie. Der Krieg war in dieser Region Afrikas beendet.
Angesichts der Macht seiner französischen, britischen, belgischen und südafrikanischen Gegner entschied sich Deutsch-Ostafrika (Tanganyika) für den Guerillakrieg. Die Strategie zahlte sich aus, denn bis zum Zeitpunkt des Waffenstillstands der Rethondes blieb die Kolonie ungeschlagen.
Für die afrikanischen Kämpfer war der Krieg eine „Angelegenheit der Weißen“: er ging sie nicht direkt etwas an; viele verstanden nicht recht, was auf dem Spiel stand. Aber die Loyalität der schwarzen Soldaten zeugt von dem Vertrauen einiger Afrikaner zu ihren Kolonialmächten: sie erwarteten, dass sie im Gegenzug eine Lockerung der kolonialen Herrschaft bekommen würden.
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[Grafik: Ein breiter Pfeil als Zeitstrahl von 1914 bis 1919. Im August 1914 sind die Niederlage von Togo, im Februar 1916 die Niederlage von Kamerun, im Juli 1917 die Niederlage von Südwest-Afrika und über den gesamten Zeitraum bis zum November 1918 die Schlacht von Tanganyika eingezeichnet.]
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[Schriftquelle]
1 Die Rolle der Träger
Die Frage des Transportes stellte das größte Problem dar. […] Wir sind […] gezwungen, Tausende und Abertausende Indigene anzustellen. Zwischen dem Bahnterminal und der zu versorgenden Basis befanden sich oft etwa dreißig Tagesetappen, so dass beispielsweise bei 70 mm Granaten – da ein Mann nur vier tragen konnte – hundert Träger einen Monat lang laufen mussten, um eine einzige Geschossbatterie mit den für einen einzigen Schuss erforderlichen Projektilen zu versorgen. Man war gezwungen, sogar die Kanonen auf die gleiche Weise zu transportieren. Die Teile wurden für den Marsch in 90 Kilogramm Lasten zerlegt, ein enormes Gewicht für Männer, die den Transport auf schlechten Straßen oder über Sümpfe mit der Kraft ihrer Muskeln durchführen mussten. Es war das Gleiche mit den Lebensmitteln […] und auch mit Krankenwagen mit all dem Nötigsten.
Pierre Daye, L’empire colonial belge , Brüssel, Paris, Édions du Soir – Berger-Levrault, 1923.
3 Der Krieg in Schwarzafrika
[Quelle: Afrikakarte auf der die verschiedenen Länder als neutral, Entente-Kolonien und deutsche Gebiete gekennzeichnet sind. In den deutschen Gebieten sind die Bewegungen der alliierten Truppen und der Deutschen durch Pfeile eingetragen.]
[S. 67, rechte Spalte]
2 Im Krieg
Dieser Soldat trägt auf dem Kopf die Helme der Deutschen, die er getötet hat
[Quelle: Schwarz-Weiß-Foto eines afrikanischen Soldaten, der über seiner Kopfbedeckung zwei deutsche Helme trägt. Man sieht ihn in einer schlichten Leinenuniform, mit einem Rucksack auf dem Rücken und in den verschränkten Armen ein Gewehr]
[Text im Bild unten:] Ruhm dem größten Frankreich
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4 Die schwarzen Soldaten in Europa
Nein, die Schwarzen waren nicht glücklich! Der Herbst war gekommen. Der Regen hörte nicht auf zu fallen, der Wind stöhnte im Wald und der Schlamm beschwerte die zu großen Stiefel, in die die zu dünnen Beine schlecht passten. Im kalten Nordwind und den Regenschauern kauerten die größeren Körper, machten sich in den Kapuzenmänteln klein und es war als ob die Zungen in den Mündern festfroren. Keine Gespräche mehr, keine Scherze mehr. Alle hackten schweigend die Steine im Steinbruch. […] Das Feuer, das warme Essen, der Schutz der Baracke, das war es, was sie sich den ganzen Tag lang wünschten in jener Wüste der Kälte und des Schlamms. Am Abend versammelten sie sich, einer an den anderen gedrängt, auf ihren Anziehsachen und Wolldecken und schliefen fieberhaft ein beim Lärm all jener, deren Brust vom Husten geschüttelt wurde, der Verstand leer und eiskalt, der ganze Körper im Wehklagen des Windes und von dem Geräusch des Wassers, das sein tristes Tamtam auf dem Blech machte, verkrampft.
Jérôme und Jean Tharaud, La randonnée de Samba Diouf, Paris, Plon, 1922.